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Beitrag vom 25.08.2013
Otti (Otilija Ester) Berger. 1898 – 1944. Eine Recherchereise
Linn Fischer
Die Suche nach dem verlorenen Vermächtnis der Textildesignerin – ihren Werke und ihren Schriften. Zusätzlich zu ihrer Biografie versucht die deutsch-israelische Graphikdesignerin Linn Fischer...
... zu entschlüsseln und zu verstehen, wie sie arbeitete, um einige ihrer Techniken in ihre eigene Arbeit zu adaptieren.
Dadurch hofft sie, Teile und Bruchstücke von Ottis Leben beschreiben zu können.
"Um ein Künstler zu werden, muss man ein Künstler sein..."
Otti Berger
Ich will nicht mit dem Anfang beginnen.
Und auch nicht mit dem tragischen Ende.
Ich beginne meine Recherche nicht mit ihrem Namen oder mit einem Ort. Und nicht mit einem Portrait, sondern mit einem Objekt, welches von einem persönlichen Moment zeugt, vorsichtig und zart, zwischen der Künstlerin und dem Material.
Otti Berger, Tasttafel aus Fäden, Arbeit aus dem Vorkurs Moholy-Nagy, 2. Semester, 1928
Zuerst sah ich dies – ein Stück Tuch, auf das ein zartes Konstrukt aufgenäht war, sorgfältig, akribisch, beinahe geheimnisvoll. Noch bevor ich ihr Gesicht sah, fühlte ich mich ihr irgendwie nahe.
Otti Berger hat dieses Objekt, die Tasttafel, während ihres Studiums am Bauhaus Institut gefertigt, in einem Vorkurs bei László Moholy–Nagy. Die Tasttafel herzustellen war eine Aufgabe, die den StudentInnen gegeben wurde, damit sie ihren Tastsinn üben, ihn entwickeln und schätzen lernen konnten. Ich denke, ich kann bereits eine Spur ihres Wesens in dieser frühen Arbeit erkennen. Vielleicht trägt sie sogar eine Ahnung davon in sich, welche Künstlerin einmal aus ihr werden sollte.
Heutzutage beinahe vergessen, war Otti Berger eine wichtige und gefragte Textildesignerin und ein Mitglied am Bauhaus. Nachdem sie als Kunststudentin in ihrem Heimatland Jugoslawien erste Erfahrungen gesammelt hatte, schrieb sie sich 1927 im Bauhaus Institut in Dessau ein. Später unterrichtete sie selbst dort und arbeitete an der Organisation des Webereikurses mit. 1932 zog sie nach Berlin und baute dort ein unabhängiges und erfolgreiches Studio für Textilien auf. Sie war sowohl eine neugierige und sensible Künstlerin, als auch eine zielstrebige und hart arbeitende Geschäftsfrau, die mit ArchitektInnen und führenden Textilfirmen zusammen arbeitete. Geboren wurde sie 1898 in eine jüdische Familie in dem Dorf Zmajevac, welches bis zum Ersten Weltkrieg zu Österreich–Ungarn gehörte und später Teil von Jugoslawien (heute von Kroatien). Einen großen Teil ihres Lebens verbrachte sie in Deutschland.
Otti verließ das Dorf und ihre Familie, um nach Zagreb zu gehen und dort Kunst zu studieren, und zog von dort aus nach Deutschland, um in die Avantgarde des Bauhauses in Dessau einzutauchen. Und dann, allein, in die Metropole Berlins.
Menschen, die wandern, ihre Orte wechseln – das Neue finden – sehen auch das bereits Vertraute in aus einer neuen Perspektive heraus. Als ich ein Kind war, war mein Kibbutz "die Welt", alles, was hinter dem Zaun war, galt als das "Andere" und jede Person, die durch das Tor des Kibbutz trat, war ein Gast. Später lebte ich an verschiedenen Orten zwischen der Wüste und dem grünen Norden. Und während meiner letzten Jahre in Israel – in Tel Aviv, eine Stadt, die am Meer liegt und gen Westen schaut – wissend, dass es hinter all dem Blau viele weitere "Andere" gibt. Und später – ging ich nach Europa. Und von dort aus, wo ich heute bin, in Berlin, scheint es bereits, als könnten Mauern leicht entfernt werden.
1938 lebte Otti in London, weit entfernt von der Bedrohung durch die Nazis, und versuchte, ein rettendes Visum in die USA zu bekommen, als sie in ihr Heimatland zurückkehren musste, um sich um ihre erkrankte Mutter zu kümmern. Als sie wieder nach Westen reisen wollte, hatte sich die Tür bereits geschlossen. 1944 wurde sie zusammen mit ihrer Familie nach Auschwitz geschickt. Und dort wurde ihr reiches, produktives Leben zerstört, als sie erst 46 Jahre alt war.
Bild Otti Bergers, Bauhaus Archiv
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Otti (Otilija Ester) Berger war Jüdin. Auf den ersten Blick weisen nur zwei Dinge in ihrer Biographie darauf hin – ihr zweiter Vorname, der verborgene, und die Art, wie ihr Leben endete. Und was noch? Ich habe danach gesucht. Ein Satz aus einem ihrer Briefe lieferte ein wenig Information über ihr Verhältnis zum Judaismus, aber selbst das ist bruchstückhaft und vage.
"Morgen ist ein jüdischer Feiertag, bei uns wird nicht gerade viel gebetet, aber eurer wird bestimmt gedacht. Da könnt ihr Gift drauf nehmen."
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Dieser Brief wurde geschrieben, als sie wieder in ihrem Heimatland bei ihrer Familie war, ich konnte keinen Beleg für irgendeine Verbindung zum Judentum während der kreativen, produktiven Jahre ihres Lebens am Bauhaus und in Berlin finden.
Aber wenigstens gibt uns das einen Hinweis. Ich kann mir vorstellen, dass es noch mehr gab. Ich glaube, dass wenngleich sie kein "typisches" jüdisches Leben führte, sie ihr Judentum aber auch nicht verleugnete und vielleicht fühlte sie sogar eine gewisse Verbindung und ein Gefühl der Zugehörigkeit. Ich fühlte mich aufgrund ihrer Arbeit, einem Hauptaspekt ihres Wesens, mit ihr verbunden, aber auch wegen dieses Details ihrer Biographie. Für mich war ihr jüdischer Hintergrund das letzte Stück, das fehlte, ein warmes Gefühl, eine Art Schwesterlichkeit, durch die ich mich ihr nahe fühlte. Ein Faden, dünn, aber vorhanden und unauslöschlich, der dich all die Jahre zurück versetzt, zurück zu all den Augen, dem Echo der Hymnen, den Ratschlägen und dem Gemurmel, der Liebe und den Geheimnissen. Du kannst weit weg gehen, nach Berlin, und hoffen, dich dort selbst zu finden, dein Verhältnis zum Material und zur Farbe– aber hebräische Buchstaben und Großmutters mehlbestäubte Schürze sind immer noch im Hintergrund.
Und du weißt, dies und es gehört dir allein. Es ist nicht nötig, Teil eines Minjans zu sein, oder an einem festlich gedeckten Tisch zu einem Feiertag zu sitzen, umringt von Gästen, um die Ähnlichkeit dessen, was sie gesehen hatte, in ihren Augen zu sehen und zu erkennen.
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Ich werde das Thema des Jüdischseins eine Weile beiseite legen. Als ich später weitere Texte über sie las, existierte es fast gar nicht,. Ich bin mehr an ihrer Arbeit interessiert, an ihrer Kunst und an ihrem Leben als Künstlerin in diesen Zeiten.
Otti erinnert mich an Naama. Naama und ich lernten uns während unseres Designstudiums am Shenkar College in Tel–Aviv kennen und schufen uns sehr schnell unsere eigene Welt. Sie war eine sehr enge Freundin und eine Partnerin bei vielen Schaffensprozessen. Jetzt ist sie in Israel und ich bin hier. Ich habe hier noch niemanden getroffen, der oder die dies für mich ist, eine geliebte Freundin, weise und mir nah und zugleich eine antreibende, inspirierende Partnerin. Ich arbeite mit Bildern und Texten, Naama mit Formen und Materialien, wie Otti. Mein Fokus liegt hier.
Ich bin zum Bauhaus Archiv in Berlin gegangen und hoffte, etwas über ihre Arbeitsweise herauszufinden. Otti arbeitete mit, sowie forschte und unterrichtete zu Textilien. Ihr Werkzeug war der Webstuhl. Ich entdeckte ein Bild von ihr – eine starke, zarte Frau mit lockigem Haar, gefällig und schön anzusehen, aber mit einer "Ich bin beschäftigt"–Ausstrahlung, an einer großen Maschine, die wundervolle Lagen Stoff herstellte, vielschichtig und reichhaltig, stark und weich. Hier liegt die Beziehung der Künstlerin zu ihrem Arbeitswerkzeug, welches eigentlich eher ein Partner ist, der genährt, umsorgt und respektiert werden muss. Sie war eine Expertin – sie schrieb Lehrtexte über das Weben, leitete gemeinsam mit Anni Albers den Webereikurs und ließ sogar ihre eigene, selbst entwickelte Sorte Stoff patentieren. Ich begann ihre Arbeit zu sehen, zu entdecken: ungewöhnlich gestaltete Teppiche, verschieden strukturierte Stoffe für unterschiedlich geartete Verwendungen und Bedürfnisse.
Otti Berger am großen Webstuhl, 1920er – FotografIn unbekannt (Bauhaus Archiv – Berlin)
Was mich jedoch von Allem am meisten interessiert ist der Arbeitsprozess. Wie ging sie an ein neues Projekt heran? Was war die erste Entscheidung, die gemacht werden musste, wenn sie am Webstuhl arbeitete? Was waren die Quellen? Was war das Bedürfnis, welches den Forschungsprozess inspirierte, der dann zu einem neuen Textil führte? Eine Künstlerin oder Designerin muss sich jedes einzelne Mal dem Prozess anvertrauen, dem sie loyal ist, der die Antwort und die Lösung hervorbringen wird. Zunächst kommt die Auswahl und die erste Einarbeitung des Materials (oder der Worte). Die Beobachtung, die Auflösung und die Zeit, Entdeckungen, die zur nächsten Entscheidung führen, zu einem weiteren Test, zu einer neuen Verbindung. Es gibt einen Weg, ich will ihn sehen. Er wird mir mehr über Otti sagen, als das fertige Produkt es kann. Der Weg selbst – das ist es, was wirklich die Künstlerin enthüllt. Die vollendete Arbeit ist eine Existenz für sich, sie "gehört" bereits den Betrachtenden. Ihre Notizbücher befinden sich im Bauhaus Archiv. Ihre Lehrer waren László Moholy–Nagy, Paul Klee, Wassily Kandinsky. Es ist ein Traum, Studentin dieser Meister sein zu dürfen. Ich habe Zeichnungen und Collagen gefunden, die sie für Freunde und Freundinnen angefertigt hat. Ich will mehr finden. Als ein Teil ihrer beruflichen Aufzeichnungen schrieb sie wahrscheinlich über den Herstellungsvorgang, zusätzlich zu praktischen Anleitungen könnte sie hier ihre Arbeitsphilosophie enthüllt haben. Außerdem gab es später ihr Atelier in Berlin, welches ein Geschäft war, ein kommerzieller Raum, ein Workshop, ein Labor, in dem sie forschen, experimentieren und schließlich kreieren konnte. In das Unbekannte eintauchen und rasch dem Ziel entgegen gleiten, mit ausgestreckten Armen, nach dem Gold greifend.
Das erste Objekt. Eine Farbe neben der nächsten und was geschah zwischen dem Ziehen der Schnur. Eine Nadel einstechen. Und jetzt vielleicht Blau? Und wie fühlt es sich an, wenn die Finger über eine gestreifte Textur tanzen?
Legen wir es eine Weile beiseite, und wir werden sehen, wie es erscheint, wenn wir einen frischen Blick darauf werfen, wenn wir wieder zurück sind.
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Zeitlinie. Eine kurze. Stichpunkte und Stationen.
4.10.1898 – geboren in Zmajevac (Ungarn/ Jugoslawien/ Kroatien)
1921–1926 – Studium an der Kunstakademie in Zagreb, Jugoslawien.
1927–1932 – die Bauhaus–Tage.
1932–1937 – unabhängig in Berlin. Textilatelier.
1937–1938 – alleine in London. Auswanderungsversuche in die USA
1938 – Besucht ihr Heimatland, Jugoslawien. Kann nicht mehr nach England zurückkehren.
1941 – der letzte Brief.
27/04/1944 – Auschwitz
das will ich noch wissen
Was war mit der Liebe in ihrem Leben? Obwohl sie von Bildern und aus den Dokumenten als eine freundliche, sensible Frau erscheint, die voller Leben war, gibt es keinen echten Beweis einer bedeutenden und starken Beziehung. Der Name Ludwig Hilberseimer, ein Architekt, den sie im Bauhaus kennen gelernt hatte und der ihr Verlobter wurde, erscheint mehrfach. Es gibt ein Foto von ihm, und vielleicht seinen Namen in einem Brief an eine Freundin. Sie hofften darauf, sich in den USA wieder zu sehen. War es nur eine Freundschaft? Haben sie je zusammen gewohnt? Vielleicht werde ich einen Brief finden, der eine Intimität enthüllt, einen Hinweis darauf, dass sie geliebt wurde.
Manchmal wird erwähnt, dass sie schwerhörig war, dass sie von den Lippen las. Dieses Detail wird erwähnt, als sei es nebensächlich, nicht so wichtig. Vielleicht wird es außen vor gelassen, weil sie trotz dieser Einschränkung erfolgreich eines schönes, erfülltes, ungewöhnliches Leben führte. Vielleicht intensivierte das eingeschränkte Gehör sogar ihre Empfindsamkeit für Textilien und für die Beschaffenheit von Stoff.
Wie war Berlin für sie? Berlin, die Szenerie, in der sie beruflich aufblühte, während im Hintergrund die Gefahr wuchs.
Und London, das eine traurige Zwischenstation gewesen zu sein scheint.
Die verhängnisvolle Entscheidung – nach Jugoslawien zurück zu gehen, ihre Familie zu wählen und die Möglichkeit zur Flucht aufzugeben.
Und zum Schluss die große Frage – ihre sechs Jahre in Jugoslawien, bis sie nach Auschwitz verschleppt wurde. Wie waren die letzten Jahre ihres Lebens, bei ihrer Familie? War sie weiterhin kreativ tätig? Bedeutete Kunst dort etwas oder war während der harten Zeiten überhaupt Raum dafür? Sie schrieb weiterhin an ihre FreundInnen und beschrieb ihnen ihr Leben in dieser schweren Zeit, aber nach 1941 gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihr. Was geschah in diesen drei verschwundenen Jahren?
Muss ich "alles" über jemanden wissen, um sie zu kennen? Das Geburtsjahr, die Orte, die Familie, die Namen, die Übergänge, die Zertifikate? Oder vielleicht wird es besser sein, einige "Punkte" miteinander zu verbinden – eine Farbe neben der nächsten, den Faden durchziehen, noch eine Reihe. Ein bisschen Blau.
Vielleicht kann ich mir das Unbekannte vorstellen? Oder es verstehen, sogar in der Lücke zwischen dem Blau und dem Gelb?
Ich – mit Bild und Text. Ein Satz aus einem Brief wird neben einem Bild weiterleben. Und jetzt, vielleicht in Form und Material.
Ich will über Otti schreiben, so, als wenn ein Mensch einen Teppich webt. Im Druckvorgang, beim letzten Schritt, trifft die Farbe mit einem Schlag auf das Papier, bringt ein Bild hervor, das nur noch trocknen muss. Beim Weben wird das Werk auf mehreren Ebenen geschaffen und jeder Moment bringt eine weitere "Schicht" hervor, bis schließlich das Ergebnis erreicht ist.
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Linn Fischer, wurde 1978 in Israel geboren und lebt seit 2010 in Berlin. Sie ist Graphikdesignerin und Künstlerin, die sich oft mit dem Thema der jüdischen Identität auseinandersetzt. Indem sie ihre Familiengeschichte zurückverfolgte, erschuf sie "Mischling", eine graphische Autobiografie darüber, wie es ist, im Israel der 1980er Jahre in einer gemischten Familie aufzuwachsen – mit einer jüdischen israelischen Mutter und einem nicht-jüdischen deutschen Vater.
Das Bild, das ich in der Hand halte, wurde von einem lieben Freund gemalt, Hans Könings.
Manche lachenden, lockenhaarigen Menschen haben die Sensibilität, in sich gekehrte, zarte Linien zu verwenden, um glorreiche Momente auszudrücken.
Mehr Infos über Linn Fischer
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Agentur für Arbeit Berlin–Brandenburg
(Quelle: Bauhaus Archiv Berlin)